TUM-Professorin Elisa Resconi mit einer Glaskugel des IceCube-Teleskops.

Seit fast zwanzig Jahren ist TUM-Professorin Dr. Elisa Resconi Neutrinos auf den Fersen. Um die extrem flüchtigen Elementarteilchen aus fernen Galaxien einzufangen, ließ sie beim IceCube-Experiment Glaskugeln tief unter dem Eis des Südpols versenken (Bild: Magdalena Jooß / TUM).

Alumni forschen
Astrophysikerin Elisa Resconi
„Wissenschaft und Kunst machen unsere Kultur aus“
20. Okt 2021  |  
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Elisa Resconi erforscht die kleinsten Elementarteilchen des Universums. Um Laien ihre komplexen Forschungen näher zu bringen, geht die TUM-Professorin ungewöhnliche Wege: Sie lässt sie in Kunstwerken darstellen.
Mit ihrer Entscheidung Physik zu studieren, wollte Professorin Dr. Elisa Resconi so offen wie möglich für zukünftige Perspektiven bleiben. „Nur eines wusste ich genau“, erinnert sie sich. „Ich wollte die Grundlagen des Universums und der Natur erforschen.“ Im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Università degli Studi di Milano wurde die gebürtige Italienerin auf das Borexino-Experiment aufmerksam. Tief unter dem Gran Sasso in den Abruzzen sucht hierbei ein Teleskop nach Neutrinos aus dem Zentrum der Sonne.

Durch ihre Mitarbeit am Experiment wurden die Weichen für die Zukunft von Elisa Resconi in zweierlei Hinsicht gestellt: Sie wurde mit einer unbändigen Begeisterung für die Erforschung von Neutrinos angesteckt. Und sie lernte ihren Ehemann, den Experimentalphysiker und TUM-Professor Dr. Stefan Schönert, kennen.

Am 26. Oktober 2021 wird Elisa Resconi bei den Women of TUM Talks zum Thema „Power, Strength and Energy“ sprechen und interessante Einblicke in die Erforschung der energiereichsten und extremsten Aspekte unseres Universums geben. Bild: Magdalena Jooß/TUM.

BOTEN AUS FERNEN GALAXIEN

Neutrinos sind die häufigsten Elementarteilchen im Universum. Die einen entstammen dem Inneren der Sonne als Folge von deren kontinuierlicher Kernfusion. Andere sind kosmischen Ursprungs aus Milliarden von Lichtjahren Entfernung. Mit ihnen lassen sich Phänomene in kosmischen Beschleunigern und kollabierenden Sternen beobachten, die sonst verborgen blieben. „Sie öffnen uns ein Fenster ins Universum“, sagt Elisa Resconi. „Mich interessiert immer das am meisten, was am wenigsten bekannt ist und die größte Herausforderung darstellt.“

Neutrinos sind nur sehr schwer zu beobachten. In absoluter Dunkelheit müssen großflächig spezielle Teleskope ausgerichtet werden, um die flüchtigen Teilchen und die minimalen Lichtblitze, die sie auslösen, erfassen zu können. Deswegen befinden sich Neutrino-Teleskope an extremen Standorten – tief unter Tage, tausende Meter unter dem antarktischen Eis oder auf dem Grund des Baikalsees in Sibirien.

An der TUM kann ich meine Forschung auf eine Weise betreiben, wie es nur an wenigen Orten auf der Welt möglich ist.

EINZIGARTIGE UMGEBUNG

Seit 2012 betreut Elisa Resconi die ungewöhnlichen Teleskope als Lehrstuhlinhaberin für Experimentalphysik mit kosmischer Strahlung an der TUM. Einen geeigneteren Forschungsstandort hätte sie sich auch für sich selbst nicht wünschen können. „Mit der hohen Konzentration von Expertinnen und Experten in der Astrophysik und in der Teilchenphysik an der TUM habe ich ständigen Zugang zu den neuesten Entdeckungen“, sagt sie. „Hier kann ich meine Forschung auf eine Weise betreiben, wie es nur an wenigen anderen Orten auf der Welt möglich ist.“

Schon seit Jahren wertet Elisa Resconi mit ihrer Arbeitsgruppe die Daten aus, die ihnen der Neutrino-Detektor IceCube vom Südpol zuschickt. 2017 war sie eine der ersten Wissenschaftlerinnen weltweit, die aufgrund dieser Messdaten Blazare als Quellen kosmischer Neutrinos identifizieren konnte. Noch im gleichen Jahr rief sie das Pacific Ocean Neutrino Experiment ins Leben, das als Vorstudie für den Bau eines Multi-Kubikkilometer-Neutrino-Teleskops im Pazifischen Ozean dient.

DAS UNSICHTBARE SICHTBAR MACHEN

In 2600 Metern Tiefe ließ Elisa Resoni für diese Studie vor der Pazifikküste Kanadas Glaskugeln an Stahlseilen verankern. Die Kugeln enthalten optische Sensoren, die die Neutrinosignale noch besser als der antarktische IceCube auffangen sollen. Vier der Kugeln enthalten zusätzlich kleine Kunstwerke. Via Internet sendet etwa der Künstler Jol Thomson Texte und Töne in seine Kugel. Die Künstlerin Lea Vajdas hofft, dass ihre Kugel in Regenbogenfarben schimmert, wenn sich fluoreszierende Tiefseebewohner auf ihr niederlassen.

Die Verknüpfung mit Kunst hat in der Forschung von Elisa Resconi Tradition. So übersetzte bereits der Klangkünstler Tim Otto Roth mit seiner Installation AIS³ (Ais-Cube) die Daten aus dem antarktischen Neutrino-Teleskop in Klänge und Farben. In einer weiteren interdisziplinären Aktion unternahmen Künstler und Physikerinnen der TUM eine Exkursion zum Untergrundlabor im Gran Sasso-Bergmassiv und arbeiteten in der Folge an gemeinsamen epistemischen Objekten, die dunkle Materie und Neutrinos zum Thema hatten.

Bei den Kunstprojekten legt Elisa Resconi viel Wert darauf, dass die wissenschaftlichen Grundlagen stets korrekt und nachvollziehbar sind. Durch die transdisziplinären Kunstprojekte können nicht nur Forscherinnen und Forscher ihre eigenen Arbeiten reflektieren. Durch die Kunstwerke werden insbesondere auch Laien erreicht, die sich normalerweise nicht mit Teilchenastrophysik beschäftigen. „Selbst wenn nur das Wort Neutrino hängen bleibt, ist schon etwas gewonnen“, sagt Elisa Resconi. „Wissenschaft und Kunst, das ist es doch, was unsere Kultur ausmacht – nicht Geld, nicht Ego.“

Am 26. Oktober 2021 wird Elisa Resconi bei den Women of TUM Talks zum Thema „Power, Strength and Energy“ sprechen und interessante Einblicke in die Erforschung der energiereichsten und extremsten Aspekte unseres Universums geben.

444 illuminierte Lautsprecher verwandeln aktuelle Forschung in ein begehbares Kunstwerk. Bild: T. O. Roth / imachination projects.

444 illuminierte Lautsprecher verwandeln aktuelle Forschung in ein begehbares Kunstwerk. Bild: T. O. Roth / imachination projects.

TUM-Professorin Elisa Resconi.

Elisa Resconi (Bild: Privat).

Prof. Dr. Elisa Resconi

TUM-Lehrstuhlinhaberin für Experimentalphysik mit kosmischer Strahlung

1995 schloss die im italienischen Brescia geborene Elisa Resconi ihren Master in Physics an der Universitá degli Studi di Milano ab. 2001 folgte die Promotion an der Universitá degli Studi di Genova und am Laboratori Nazionali del Gran Sasso in Italien. Mit dem Marie Curie Postdoctoral Fellow-Stipendium forschte Elisa Resconi am Forschungszentrum DESY der Helmholtz-Gemeinschaft in Zeuthen/Berlin, als Emmy Noether-Nachwuchsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Nach einer Gastprofessur an der Universität Erlangen-Nürnberg wechselte sie 2012 an die TUM, wo sie von 2013 bis 2016 eine Heisenberg-Professur innehatte. Im Jahr 2018 wurde ihr die TUM Liesel Beckmann Distinguished Professorship verliehen.

Mit ihrem Ehemann, TUM-Professor und Alumnus Dr. Stefan Schönert (Diplom Physik 1990, Promotion 1995), und ihren beiden Kindern lebt und arbeitet die passionierte Astrophysikerin in München. Nicht selten kommt es im heimischen Wohnzimmer zu hitzigen Diskussionen über dunkle Materie, schwarze Löcher und kosmische Strahlung. Nur ihre Kinder Emma und Emil sind in der Lage, die abendlichen Diskussionen zu begrenzen und für ein gesundes Familiengleichgewicht zu sorgen.