Porträtaufnahme von Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle.

Bild: facesbyfrank/TUM.

Alumni mit Nobelpreis
TUM Alumnus Prof. Wolfgang Ketterle
„Plötzlich zeigten die Atome ihre Wellennatur“
14. Okt 2011  |  
Lesezeit ca. Min.
Bei diesem Interview handelt es sich um eine Wiederveröffentlichung des Original-Interviews mit Professor Ketterle aus dem Frühling 2011.

Mit 43 Jahren bekam TUM Alumnus Prof. Wolfgang Ketterle 2001 den Nobelpreis in Physik „für die Erzeugung der Bose-Einstein-Kondensation in verdünnten Gasen aus Alkaliatomen und für frühe grundsätzliche Studien über die Eigenschaften der Kondensate“. Seit 1993 forscht und lehrt der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. Am Ende seines siebenmonatigen Aufenthalts in München nahm sich Ketterle Zeit für ein Gespräch über seine Forschungen, die Stadt München und Ausdauersport.

Wie haben Sie die sieben Monate in München verbracht?
Zu 70% habe ich das gemacht, was ich auch am MIT gemacht hätte, nämlich Berichte geschrieben, Forschungsanträge eingereicht und über Skype und monatliche Besuche meine Forschergruppe betreut. Der einzige Unterschied war, dass ich keine Vorlesungen halten musste. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, hier am Max-Planck-Institut in Garching Diskussionen zu führen, im Labor zuzuschauen, mit Doktoranden zu diskutieren und die Forschungen kennen zu lernen.
Wie beurteilen Sie Ihren Aufenthalt?
Ich bin wirklich begeistert von der Möglichkeit, ein Sabbatical zu nehmen. Über 20 Jahre war ich nie mehr als ein paar Wochen vom MIT weg. Durch den Abstand nehme ich meine eigene Arbeit und die der Gruppe bewusster wahr. Die Gespräche hier in Garching und an anderen europäischen Forschungseinrichtungen gaben mir zusätzlich neue Impulse für mein eigenes Forschungsprogramm. Außerdem war es toll, nach 20 Jahren mal wieder länger in Deutschland zu sein. Im letzten halben Jahr war ich sehr oft im Theater, in Museen, habe München einfach voll genossen. Mehrmals die Woche war ich im Englischen Garten Joggen und bin im Oktober auch den Münchner Marathon mitgelaufen.
Forschen Sie weiterhin über Bose-Einstein-Kondensate?
Nein, das ist ausgereizt. Mein aktuelles Ziel ist die Entdeckung und Erforschung weiterer neuer Materialien, für die man Temperaturen im Bereich des absoluten Nullpunktes braucht.
Wie erklärt sich eigentlich der Name „Bose-Einstein-Kondensation“?
Dieser Vorgang, bei dem sich eine neue Form der Materie bildet, wurde erst durch Kühlverfahren ermöglicht, mit denen man auf millionstel Grad an den absoluten Nullpunkt herankommt. Bose und Einstein beschrieben in den Zwanzigerjahren mit ihren Gleichungen Strahlung und Materie. Eine Singularität bei der Lösung der Gleichungen wurde von Einstein dahingehend interpretiert, dass hier sehr viele Atome sozusagen im Gleichschritt marschieren. Damit sagte er eine wesentliche Eigenschaft der Bose-Einstein-Kondensate voraus. Es dauerte allerdings noch lange, bis klar wurde, dass sich die Überlegungen Einsteins in der Natur realisieren lassen.
Das war wie die Stunde der Wahrheit. Wir sitzen im Labor und plötzlich kommt dieses Wellenmuster. Alles war so, wie wir es uns vorgestellt hatten.

Wie war das, als Sie die Wellennatur des Bose-Einstein-Kondensats zum ersten Mal beobachten konnten?
Als wir dieses Ergebnis das erste Mal erreichten, hatten wir die ganze Nacht durchgearbeitet. Wir sahen die Wellennatur des Bose-Einstein-Kondensats als Wellenmuster auf dem Computerschirm. Das war wie die Stunde der Wahrheit. Wir sitzen im Labor und plötzlich kommt dieses Wellenmuster. Alles war so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Und plötzlich weiß man, man hat etwas gesehen, was noch nie jemand zuvor gesehen hat.
Hält man solch einen Forschungserfolg erst einmal geheim?
Im Gegenteil, man publiziert so schnell wie möglich. Im Idealfall ist zwei bis drei Wochen nach einer Entdeckung die Veröffentlichung geschrieben und wenige Wochen später erscheint sie. Es ist auch am aufregendsten und spannendsten, wenn neue Erkenntnisse mit frischem Schwung serviert werden.
Man hört öfter, dass Forscher in unterschiedlichen Ländern zur gleichen Zeit die gleiche Entdeckung machen. Stimmt das?
Das passiert immer wieder und hat natürlich damit zu tun, dass Forscher miteinander reden, sich gegenseitig beeinflussen. Die Entdeckung hängt dann quasi in der Luft. Mit Bose-Einstein-Kondensation befassten sich über mehrere Jahre verschiedene Gruppen. Innerhalb von vier Monaten gelang dann zwei Gruppen der Nachweis.
Angefangen hat Ihre Wissenschaftskarriere mit dem Physikstudium an der TUM. Haben Sie Erinnerungen an diese Zeit?
Oh ja, natürlich. Ich habe mein Diplom in theoretischer Physik bei Prof. Wolfgang Götze gemacht, einem ausgezeichneten Lehrer und Forscher. Ich habe viel von ihm gelernt und die Diplomarbeit war meine erste Forschungsarbeit. Da ist man auch hinterher noch stolz darauf.
Wie erlebten Sie Ihren Studienabschluss?
Ich habe mein Diplom im Jahr 1982 gemacht und meine Doktorarbeit 1986. In beiden Fällen gab es keine Feier, keine Überreichung. Ich bin auf irgendeine Amtsstube im Hauptgebäude gegangen und habe meine Exemplare der Diplom-, bzw. Doktorarbeit abgegeben. Dann hat mir ein Sachbearbeiter das Diplom ausgehändigt und „Herzlichen Glückwunsch“ gesagt. In den USA habe ich später erlebt, was das für große Ereignisse sein können.
Porträtfoto von Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle.

Bild: facesbyfrank/TUM.

Wie wird denn der Studienabschluss am MIT gefeiert?
Die akademische Jahresfeier ist das große Ereignis im Jahr einer amerikanischen Universität. Die Eltern wollen sehen, wie ihren Kindern die Diplome überreicht werden. Viele Alumni kommen, um sich bei diesem Anlass wieder zu treffen. Wegen des Einzugs der Professoren im Talar und mortarboard (Doktorhut) zu Beginn der Veranstaltung nennt sich das Ganze „commencement exercises“.
Wie viele Menschen kommen zu den commencement exercises?
Das MIT hat jedes Jahr 1000 undergraduates und 1000 Doktoranden, die jeweils zwei bis drei Verwandte einladen. Mit Lehrkörper und Alumni sind dann bestimmt 10.000 Leute auf dem Campus. Der Festakt wird unter freiem Himmel auf einer großen für die commencement exercises bestuhlten Wiese am Charles River Basin abgehalten. Das große Ereignis ist die Festrede. Eine Schule von der Qualität des MIT bekommt dafür auch herausragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Wir hatten zum Beispiel Präsident Clinton, Koffi Anan (UN Generalsekretär) oder den Präsidenten (James Wolfensohn) der Weltbank.
Meine Vorlesungen sollen Begeisterung für die Forschung an sich vermitteln.

Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?
Ich versuche den Studierenden zu zeigen, dass die physikalischen Grundlagen, die sie lernen, in der aktuellen Forschung lebendig sind. Meine Vorlesungen sollen Begeisterung für die Forschung an sich und natürlich für die Grundlagenforschung vermitteln. Im Moment habe ich 13 Doktoranden, die in meinen vier Laboren an verschiedenen Themen arbeiten.
Sind deutsche Absolventen im Ausland gern gesehen?
Oh ja! Einige meiner besten Mitarbeiter kommen aus Deutschland. Die sind hervorragend ausgebildet.
Würden Sie gerne nach Deutschland zurückkommen?
Eine Rückkehr nach Deutschland ist im Moment kein Thema. Ich fühle mich in den USA sehr wohl. Meine Familie ist dort, ich habe mich niedergelassen. Vor zehn Jahren bekam ich ein tolles Angebot, nach München zurückzukehren und es war eine schwere und sehr knappe Entscheidung, am MIT zu bleiben. Aber ich habe dort gute Mentoren und Kollegen und das Verhältnis ist sehr familiär. Ich bin in Deutschland und den USA sozusagen gleichermaßen verwurzelt. Es ist gut vorstellbar, dass wenn ich vor 15 Jahren nach Deutschland gegangen wäre, es hier ähnlich erfolgreich gelaufen wäre und ich mich genauso wohl gefühlt hätte. Aber leider hat man nur ein Leben.
Was möchten Sie den heutigen Studierenden auf ihren Weg mitgeben?
Ich würde ihnen gerne den Druck wegnehmen, dass sie sich heute und jetzt für ihr ganzes Leben entscheiden müssen. Meine Karriere hat sich auch erst im Laufe des Lebens ergeben. Es ist wie beim Segeln: Man muss sich immer auf die nächste Strecke konzentrieren, die Wellen und den Wind abschätzen und dann das Beste machen und das Beste geben. Wenn sich Wind und Wellen ändern, korrigiert man seinen Kurs. Das hat viel mit Karriere und dem Leben zu tun. Man muss etwas herausfinden über das Wasser, die Winde, über sich selbst. Und man braucht eine gewisse Geschwindigkeit zum Navigieren. Wenn das Segelboot still steht, kann man nicht steuern. Den Studenten möchte ich sagen:  Auch wenn Ihr nicht wisst, was Ihr machen wollt, Ihr müsst aus dem Hafen raus! Ihr müsst auf irgendein Ziel zusteuern, ihr müsst Geschwindigkeit gewinnen. Indem man etwas macht, entwickelt man sich weiter und bekommt die Erfahrung und die Einsichten, die für die nächste Kurskorrektur nötig sind. Am Ende erreicht man oft ein Ziel, das am Anfang unvorstellbar war.
Porträtaufnahme von Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle.

Bild: facesbyfrank/TUM.

Wolfgang Kettlere

Diplom Physik 1982

Wolfgang Ketterle wurde 1957 als zweites von drei Kindern geboren und wuchs in Eppelheim auf. Nach dem Abitur begann er 1976 mit dem Physikstudium an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Nach dem Vordiplom wechselte er an die TUM. Er schlug die Richtung der Theoretischen Physik ein und diplomierte 1982 über die Spin-Relaxation von ungeordneten Materialien, anschließend wechselte er an das Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und die Ludwig-Maximilians-Universität in München und wurde 1986 mit der Arbeit Spektroskopie am Heliumhydrid und am dreiatomigen Wasserstoff-Molekül promoviert.

Nach seiner Garchinger Zeit wechselte Ketterle wieder nach Heidelberg, um am Lehrstuhl von Jürgen Wolfrum Untersuchungen an Verbrennungsmotoren durchzuführen. 1990 siedelte er nach Amerika über, um in der Gruppe von David E. Pritchard an Problemen der Laserkühlung zu arbeiten. 1993 schloss er sich dem Physics-Department des Massachusetts Institute of Technology (MIT) an und hat heute den John-D.-MacArthur-Lehrstuhl für Physik inne.

Wolfgang Ketterle erhielt den Nobelpreis in Physik 2001 gemeinsam mit Eric A. Cornell und Carl E. Wieman für die Erzeugung der Bose-Einstein-Kondensation in verdünnten Gasen aus Alkali-Atomen und für frühe grundsätzliche Studien über die Eigenschaften der Kondensate.