Einhörner aus der TUM
Echte Pioniere
Der Präsident besucht Celonis
Präsident Thomas F. Hofmann geht eine Treppe hinauf.
22. Okt 2021  |  
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Präsident Thomas F. Hofmann besuchte die Gründer des Unternehmens Celonis in der Münchner Unternehmenszentrale an der Theresienstraße (Bild: Magdalena Jooß/TUM).

Ein Studienprojekt an der TUM brachte sie auf die Idee: Heute ist das Unternehmen der drei TUM Alumni Bastian Nominacher, Martin Klenk und Alexander Rinke 11 Milliarden Dollar wert und damit eines der wertvollsten Start-ups Europas: Celonis. 

Im September 2021 besuchte TUM-Präsident Thomas F. Hofmann die Münchner Unternehmenszentrale des Unternehmens. Dort sprach er mit TUM Alumnus, Gründer und Co-CEO Bastian Nominacher über Kreativität, fachliche Kompetenz und Durchhaltevermögen – oder kurz: darüber, wie die Entwicklung von Unternehmensideen funktioniert.

Herr Nominacher, welche Rolle spielt Ausdauer bei der Entwicklung von guten Ideen?
Bastian Nominacher: Eine sehr große Rolle – auch jetzt noch als Unternehmer. An einem Tag funktioniert alles und der Kunde ist glücklich. Am nächsten Tag ändert sich etwas und man muss die Technologie anpassen, alles überdenken, nach anderen Wegen suchen. Durchhaltevermögen und Beständigkeit zeichnen die meisten Gründer aus. Wer eine Vision hat und diese vorantreiben will, der kann nie den geradlinigen Weg gehen.

Thomas F. Hofmann: Ja, Frustrationstoleranz ist eine ganz wichtige Eigenschaft für erfolgreiche Wissenschafts- wie Gründertalente. Die einfachen Wege sind meistens schon von anderen „ausgetrampelt“. Echte Pioniere begeben sich hingegen auf unkartiertes Terrain mit all seinen Höhen und Tiefen. Erfolg und Innovation entspringen, wenn wir dem Neuen eine Chance geben und dabei immer wieder alternative Ansätze erproben, auch wenn viele davon vielleicht nicht auf Anhieb funktionieren. Neben fachlicher Kompetenz und Kreativität brauchen wahre Erfinder, Entdecker und Innovatoren deshalb eine gesunde Portion Frustrationstoleranz, und statt der Angst vor dem Scheitern lernen sie aus ihren Fehlern.

Bastian Nominacher im Interview.

Bastian Nominacher (Bild: Magdalena Jooß/TUM).

Die Geschichte der Innovation, auf der Celonis aufbaut, beginnt in der TUM Universitätsbibliothek: Auf der Suche nach einer Lösung für Ihr Studienprojekt sind ie auf ein Buch des niederländischen Professors Wil van der Aalst gestoßen, was zur ersten Begegnung mit den Ideen des Process Mining und des Workflow-Managements führte.
Bastian Nominacher: Als wir über diese bahnbrechenden Ideen stolperten, konnten wir die Verbindung herstellen zwischen den Prozessdaten, die wir bei unserem Projekt für den Bayerischen Rundfunk sahen, und der Möglichkeit, sie durch die Entwicklung einer eigenen Process-Mining-Software zu lösen. Mit anderen Worten: Ohne die Forschung von Wil gäbe es Celonis in der Form wahrscheinlich nicht. Seit September ist Wil van der Aalst übrigens Chief Scientist bei Celonis.
Was war dafür ausschlaggebend, dass Sie in diesem Moment diese potenzialreiche Verbindung erkannt haben?
Bastian Nominacher: Ich bin sicher, dass unsere Ausbildung einen großen Anteil daran hatte. Unser Studium hat uns eine breite Wissensbasis vermittelt, von der aus wir weitergehen konnten. Ich glaube, dass eine gute Kenntnis des Gebietes, in dem man unterwegs ist, wichtig ist, um auf gute und neue Ideen zu kommen. Die Kreativität lag darin, zu erkennen, dass der Transfer zwischen den theoretischen Algorithmen des Process Mining und den Daten des Bayerischen Rundfunks möglich ist. Bis heute stellen wir ständig neue Verbindungen zwischen akademischer Forschung und der praktischen Anwendung her und entwickeln unser Produkt kontinuierlich weiter.

Thomas F. Hofmann: Das kann ich nur unterstreichen. Richtig gute Ideen und potentialreiche Ansätze fallen nur selten vom Himmel. Zunehmend materialisieren diese an den Grenzflächen der Disziplinen durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Kenntnisse, Werkzeuge und Arbeitsmethoden, und insbesondere dann, wenn die „Chemie“ zwischen den Teammitgliedern stimmt.

Die besten Ideen kommen im Austausch mit anderen: Darin waren sich Präsident Thomas F. Hofmann und Co-CEO Bastian Nominacher einig (Bild: Magdalena Jooß/TUM).
Celonis hat mehrere Etagen an Büroräumen an der Theresienstraße angemietet. In die kleinen Telefonzellen können sich Mitarbeiter zurückziehen, wenn sie bei einer Besprechung oder einem Telefonat ungestört sein wollen (Bild: Magdalena Jooß/TUM).
Beim Rundgang ließ es sich Präsident Thomas F. Hofmann nicht nehmen, Bastian Nominacher zu einer kleinen Kicker-Runde herauszufordern (Bild: Magdalena Jooß/TUM).
Durch das starke Wachstum ist man bei Celonis stets auf der Suche nach neuen Talenten. Daher tut das Unternehmen viel dafür, gerade für junge Fachkräfte attraktiv zu wirken: Ein unternehmenseigenes Studio dient der Aufzeichnung von Podcast-Folgen (Bild: Magdalena Jooß/TUM).
Celonis ist Weltmarktführer beim so genannten Process Mining und expandiert mit seiner Software in die Welt. Bastian Nominacher erklärte dem Präsidenten deren Funktionsweise (Bild: Magdalena Jooß/TUM).
Sie sind drei Gründer im Gründerteam. Wie funktioniert bei Ihnen der Austausch in der Ideenfindung?
Bastian Nominacher: Wir sind ein sehr komplementäres Team. Alexander Rinke ist Mathematiker, Martin Klenk ist Informatiker und ich bin eine Mischung aus Finanzinformatiker und Wirtschaftsinformatiker. Für uns ist wichtig, dass jeder seine unterschiedlichen Perspektiven einbringt. Wir sind einerseits vom Studienhintergrund verschieden, aber auch in Bezug auf das, was wir erlebt haben, welche beruflichen Erfahrungen wir mitbringen. Gerade am Anfang als wir nur zu dritt waren, hätte es anders nicht funktioniert. Ich kann mich noch an die ersten drei Monate erinnern, in denen wir uns quasi in meiner Wohnung eingesperrt haben. Es gab jeden Tag neue Herausforderungen. Manchmal sind wir fast verzweifelt. Aber immer hatte einer von uns die rettende Idee.
Wie bereitet man Gründer darauf vor, mit diesem Auf und Ab klarzukommen und an einer Idee dranzubleiben allen Widrigkeiten zum Trotz?
Thomas F. Hofmann: Unsere gründungsaffinen Studierenden kommen zu uns bereits mit größter Motivation, sie wollen etwas lernen, Neues schaffen und Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft bringen. Dabei unternehmen Sie alle Mühen, um Lösungen für die sich stellenden Probleme zu finden. Ihre Motivation sinkt jedoch rasch, wenn sie durch disziplinäres Silodenken, bürokratische Hürden, oder unnötige, gesetzliche Überregulierungen ausgebremst werden. Universitäten müssen zu „Enablern“ werden. Sie müssen Studierenden helfen, ihren Visionen und Motivationen zu folgen, dazu längst überholte Gräben zwischen Disziplinen überkommen, kreative Teamformate entwickeln, und für die jungen Talente die besten Bedingungen schaffen, ihre Ideen in marktfähige Innovationen umzusetzen.

Bastian Nominacher: Das Netzwerk spielt eine große Rolle. Es war gut, dass wir viele Mentorinnen und Mentoren an der TUM hatten, mit denen wir uns austauschen konnten, wenn es Rückschläge oder neue Herausforderungen gab.

Thomas F. Hofmann: Grundlage dazu ist es, Spitzenwissenschaft zu fördern, denn aus exzellenter Forschung entspringen ständig neue Ansätze für geistreiche Gründer. Dann gilt es, die jungen Talente entlang des gesamten Gründungsprozesses bis hin zur Wachstumsphase kraftvoll zu unterstützen, was wir gemeinsam mit unserem An-Institut UnternehmerTUM sehr systematisch und mit großer Leidenschaft tun. Mit unseren Ausgründungen fördern wir den Transfer von Technologien oder Dienstleistungen aus unseren Laboren, Denk- und Werkstätten in wirtschaftliche oder gesellschaftlich relevante Anwendungen.

Bastian Nominacher: In München haben wir gerade durch die Gründungsförderung der TUM ein sehr starkes Ökosystem. Hier kann ich von anderen Gründerinnen und Gründern lernen und mich austauschen. Ich muss nicht jeden Fehler, den jemand schon einmal gemacht hat, noch einmal machen. Und an der Universität lernen wir, wie wir ein Problem anpacken müssen.

Präsident Hofmann im Interview.

Präsident Thomas F. Hofmann (Bild: Magdalena Jooß/TUM).

Wie meinen Sie das?
Bastian Nominacher: Eine Universität mit einem sehr hohen Leistungsniveau, wie es die TUM ist, bereitet einen darauf vor, mit komplizierten Problemen umzugehen. Ob es sich um ein komplexes mathematisches Problem handelt oder um die Frage, wie ich als Gründer neue Kunden gewinnen kann, ist dabei erst einmal zweitrangig. Es geht darum, eine Situation analytisch zu durchdenken und in einzelne Problemkomplexe aufzuteilen. Deshalb legen wir bei unseren Bewerbern sehr großen Wert darauf, dass die akademischen Leistungen gut sind, denn das zeigt uns, dass sich jemand durchbeißen kann und sein Handwerkszeug kennt.

Thomas F. Hofmann: Im Zentrum der Ausbildung stehen methodische Kompetenzen. Diese sind eine Konstante, auf die man sein Leben zurückgreifen kann. Fachliches Detailwissen ändert sich, wird überholt und ständig erneuert – im Zeiten technologischer Sprunginnovationen in nur wenigen Jahren. Wer aber analytisch denken und methodisch arbeiten gelernt hat, der kann diese ein Leben lang wirksam zur Anwendung bringen. Das gilt für eine Spitzenwissenschaftlerin ebenso wie für ein Vorstandsmitglied oder eine Gründerin oder einen Gründer.

Erfolg und Innovation entstehen, wenn wir dem Neuen eine Chance geben.

Prof. Dr. Thomas F. Hofmann

Was machen Sie selbst, wenn Sie vor einem Problem stehen, das sie nicht lösen können?
Thomas F. Hofmann: Mich mit anderen austauschen. Das ist für mich der erfolgversprechendste Weg. Gute Fragen und neue Perspektiven anderer Menschen helfen mir in festgefahrenen Situationen, mal ein, zwei Schritte in meinen Denkabläufen zurückzutreten und das Problem aus anderer Blickrichtung zu betrachten als zuvor. Zielorientiert zu bleiben, aber anderen Lösungswege erproben – dadurch ergeben sich oftmals ganz neue Handlungsmöglichkeiten, die einem zuvor nicht offensichtlich waren.

Bastian Nominacher: Ich tausche mich gerne mit anderen Unternehmen oder in meinem Netzwerk aus. Gerade letztes Wochenende haben wir überlegt, wie wir einen neuen Markt erschließen können und waren ein bisschen festgefahren. Wir haben uns mit jemanden aus unserem Advisory Board unterhalten und eine neue Perspektive eingenommen. Am Ende dachte ich mir: Da hättest du doch selbst draufkommen können (lacht).

Präsident Thomas F. Hofmann kennt Celonis seit den ersten Anfängen als Gründungsidee von drei jungen Studenten (Bild: Magdalena Jooß/TUM).

In der letzten Finanzierungsrunde im Juni 2021 hat Celonis von Investoren 1 Milliarde Dollar erhalten und ist jetzt mehr als 10 Milliarden Dollar wert. Ein so genanntes Decacorn. Was sind die weiteren Entwicklungsschritte von Celonis?
Bastian Nominacher: Mir ist es wichtig zu betonen, dass es nicht unser Ziel war, ein Decacorn zu werden, sondern dass wir eine Mission haben. Wir haben eine Technologie entwickelt, mit der wir in der Lage sind, jeden Prozess der Welt zu verbessern. Damit helfen wir Unternehmen, ihren Kunden zu helfen. Die Finanzierungsrunden sind nur dazu da, um uns auf diesem Weg zu unterstützen. Wir haben letztes Jahr die sechste Generation unserer Software auf den Markt gebracht – das sogenannte Execution Management System. Die Nachfrage der Unternehmen danach ist enorm. Daher müssen wir sowohl auf der technologischen Seite als auch auf der Seite des Kundenservice noch mehr investieren. Bisher haben wir weniger als ein Prozent des verfügbaren Marktes erschlossen. Es gibt also noch viel Potenzial.

Thomas F. Hofmann: Viele Jungunternehmer denken zu früh daran, ihr Unternehmen zu veräußern. Haben Sie schon einmal daran gedacht, ihre Anteile am Unternehmen zu verkaufen?

Bastian Nominacher: Nein. Wir haben nicht den Plan, zu verkaufen. Mich persönlich treibt an, dass wir hier bei Celonis die Chance haben, eines der größten und wichtigsten Technologieunternehmen weltweit aufzubauen. Das ist spannend, das macht uns Spaß und deshalb sind wir nach wie vor mit Begeisterung dabei.

Thomas F. Hofmann: Das ist eine tolle Einstellung und sollte Vorbild für andere sein. Genau diese Einstellung braucht unser Wirtschaftsstandort Deutschland, weil auf diese Weise Unternehmen entstehen, die natürlich global aktiv sind, aber hier in Deutschland neue Arbeitsplätze schaffen und Exportkraft sichern.

Bastian Nominacher: Es heißt, dass ungefähr eines von 100.000 Start-ups ein Unicorn wird. Das bedeutet auch, dass die anderen 99.999 keine Unicorns werden. Wir werden oft gefragt, warum wir so erfolgreich sind. Ich denke, es liegt an unserer Leidenschaft für die Sache. Allein auf einen lukrativen Verkauf zu schielen, ist wahrscheinlich kein guter Grund, um ein Unternehmen zu gründen.

Thomas F. Hofmann: Wenn man eine wegweisende Technologie entwickelt hat, dann muss das doch für einen die größte Motivation sein. Das Unternehmen wachsen und gedeihen zu sehen. Gilt übrigens auch für meine Arbeit als Präsident: Ich tue alles, dass die TUM noch erfolgreicher wird. Erfolg lässt sich dabei nicht immer nur an Zahlen messen, an Publikationen, Patenten oder Start-ups. Mir ist ebenso wichtig ist, dass die Universität nicht ein isolierter Elfenbeinturm der Spitzenklasse ist, sondern ein integraler Partner der Gesellschaft wird, mit der Zeit geht und als Katalysator wirkt für verantwortungsvolle, vertrauenswürdige und gesellschaftsfähige Innovationen. Nur dann können wir eine Entkopplung der Wissenschaft von den Bedürfnissen und Werten unserer Gesellschaft verhindern. Das motiviert mich als Präsident. Und wenn es nicht so wäre, dann würde ich es wohl besser lassen.

Präsident Hofmann im Interview.

Präsident Thomas F. Hofmann (Bild: Magdalena Jooß/TUM).