TUM Alumna Anna Fontcuberta i Morral

TUM Alumna Anna Fontcuberta i Morral ist seit 2025 Präsidentin der EPFL (Bild: Nicolas Righetti / EPFL).

Alumni in Führung
Die Frau an der Spitze der EPFL
„Wissenschaft ist hochinternational
27. Juni 2025  |  
Jeanne Rubner  |  
Lesezeit ca. Min.
Studium in Barcelona, Promotion an der École Polytechnique nahe Paris, Postdoc am CalTech und Habilitation am Walter Schottky Institut der TUM: Für ihre Karriere hat TUM Alumna Anna Fontcuberta i Morral die Welt gesehen. Seit Januar 2025 ist die Physikerin Präsidentin der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne, kurz EPFL.
„Ich habe sehr gute Erinnerungen an München“, sagt Professorin Anna Fontcuberta i Morral. Als gerade 30-jährige hatte sie eine Stelle als Gruppenleiterin am Walter Schottky Institut angetreten, 2008 habilitierte sie sich an der TUM. Sie sei dankbar, dass sie dort eine eigene, unabhängige Arbeitsgruppe aufbauen konnte, dass man ihr das Vertrauen schenkte, sich in einem für sie neuen Forschungsgebiet zu beweisen, in dem sie noch gar nicht publiziert hatte. „Das war eine einmalige Nachwuchsförderung“. Sie forschte damals an sogenannten filamentary crystals – hauchdünnen kristallinen Fadenstrukturen mit interessanten elektronischen Eigenschaften. Anschließend ging sie als Tenure-Track-Professorin an die EPFL, 2014 folgte die Berufung auf eine Associate Professur, fünf Jahre später wurde sie Full Professor.

Und jetzt: Präsidentin der Hochschule. Das bedeutet einen sehr engen Terminkalender – und ein Treffen per Zoom. Anna Fontcuberta sitzt in ihrem Büro, der virtuelle Hintergrund zeigt den Campus mit einem atemberaubenden Blick auf den Genfer See und die Berge sowie moderne Bauten und viel Grün. „Hier sitzen die Studierenden mittags in der Sonne“, erklärt sie und beugt sich nach vorne, damit das futuristische Gebäude mit gewelltem Betondach besser zu sehen ist. „Das ist das Rolex Learning Center, in dem sich auch unsere Bibliothek befindet“

EUROPÄISCHE PARTNERUNIVERSITÄTEN

EPFL und TUM sind beides Technische Universitäten, die aus Ingenieurschulen des 19. Jahrhunderts hervorgingen. 1969 wurde aus der kantonalen Hochschule École Polytechnique de l’Université de Lausanne die zweite Eidgenössische Technische Hochschule der Schweiz. „TUM und EPFL befinden sich beide in forschungs- und innovationsstarken Regionen“, sagt Anna Fontcuberta. Und an beiden Hochschulen sei das Niveau der Studierenden sehr hoch. Und die Unterschiede? „Wir sind eine vergleichsweise sehr kleine Hochschule, eher wie ein Start-up, sehr agil.“ An der EPFL studieren etwa 14.000 junge Menschen, an der TUM sind es viermal so viele. Verbunden sind beide Institutionen durch die EuroTech Universitätsallianz und den europäischen EuroTeQ Campus, es gibt Austauschprogramme für Studierende und gemeinsame Studiengänge in Maschinenbau und Angewandter Mathematik. 

Die Präsidentin spricht konzentriert und deutlich. Sie hat eine klare Vorstellung davon, was sie in ihrer Amtszeit erreichen will. Zunächst einmal muss sie sparen, denn die Regierung in Bern hat – wegen einer Schuldenbremse in der Verfassung – den Haushalt der Hochschule gekürzt. „Wir müssen mehr mit weniger erreichen – das heißt, wir streben eine höhere Effizienz an.“ In diesem und dem nächsten Jahr kann die EPFL noch auf Reserven zurückgreifen. Diese Zeit wollen Anna Fontcuberta und ihr Leitungsteam nutzen, um zu entscheiden, welche Aufgaben priorisiert werden und worauf man verzichten kann. Sie setzt dabei auf den Geist der Gemeinschaft an der EPFL. „Das ist unsere Stärke als relativ kleine Hochschule“. Auch mehr private Spenden und Kooperationen mit Unternehmen sollen die Haushaltslücke schließen.

Ein großes Anliegen ist der Präsidentin die Zusammenarbeit über Disziplinen hinweg. Vor zwei Jahren hat sie, damals noch Beauftragte für Forschungszentren, interdisziplinäre Seed Funds gestartet. „Wir wollen in wichtigen Querschnittgebieten noch stärker zusammenarbeiten“, sagt sie. „KI, Medizintechnik, Nachhaltigkeit, Energiewandel zum Beispiel.“ Nicht zuletzt wolle die EPFL ihren Impact für die Gesellschaft stärken, durch Innovationen und den Transfer von Wissen und Technologie. Dafür wurde ein neues Vizepräsidentenamt für Innovation und Wirkung geschaffen.

TRANSFER IN DIE GESELLSCHAFT 

Der Schulterschluss mit der Gesellschaft ist Anna Fontcuberta wichtig. „Wir müssen vermeiden, dass die Öffentlichkeit sich polarisiert“, ist die Physikerin überzeugt. „Populistische Bewegungen machen sich auch in Europa bemerkbar, und damit einher geht häufig eine skeptische Haltung gegenüber der Wissenschaft“, sagt sie. „Vielleicht hat man in der Vergangenheit nicht ausreichend auf die Öffentlichkeit gehört und vergessen, dass es Narrative braucht“. Es sei an der Wissenschaft, nahbarer zu werden und immer wieder zu erklären, dass man an einer größeren Mission arbeite, nämlich das Leben der Menschen zu verbessern.

Deswegen achtet die EPFL-Spitze jetzt auch darauf, dass ihre Professorinnen und Professoren sich engagieren. „Wenn wir Kolleginnen und Kollegen befördern, dann müssen sie exzellent in mindestens zwei von den drei Bereichen – Forschen, Lehren und Transfer beziehungsweise Impact – sein.“ Bei Einstellungen würden die Kandidatinnen und Kandidaten in allen drei Aufgaben begutachtet. „Zum Beispiel haben wir gerade einem jungen Nachwuchsforscher eine Stelle angeboten“, sagt Fontcuberta. „Natürlich ist seine Forschung herausragend, aber am Ende hat sein Engagement in der Öffentlichkeit den Ausschlag gegeben.“

Die Karriere einer Physikerin war Anna Fontcuberta nicht vorgezeichnet. In der Schule mochte sie alle Fächer. Eines Tages aber habe sie gemerkt, dass Mathematik einen großen Vorteil habe: Man muss nichts auswendig lernen, sondern nur die Zusammenhänge verstehen. Von diesem Zeitpunkt an habe sie Mathematik geliebt. Und später Physik.  „Ich wollte verstehen, wie die Welt funktioniert.“ Damit war sie sehr erfolgreich, sie hat zahlreiche Auszeichnungen bekommen, darunter einen Marie Curie Excellence Grant und einen ERC Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). Von der TUM erhielt sie 2013 den neu eingeführten Ehrentitel TUM Ambassador, der seither jährlich an international herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben wird.

TAGE FÜR FORSCHUNG RESERVIERT 

Auch das Amt als Präsidentin stand zunächst nicht auf ihrer Lebensplanung. Neben ihrer Forschung hatte sie sich aber immer auch für die Hochschule eingesetzt. „Irgendwann bin ich gefragt worden, ob ich mich um die Forschungszentren an der EPFL kümmern wollte, nachdem ich mich kritisch zu einer Organisationsfrage geäußert hatte.“ Wer etwas verändern wolle, müsse eben Verantwortung übernehmen und so zog sie später in Erwägung, sich um das Amt als Präsidentin zu bewerben.

Die Forschung wollte sie nicht ganz aufgeben: „Meine beiden Vorgänger hatten auch kleine Forschungsgruppen – daher habe ich beschlossen, dass das auch für mich funktionieren kann“, sagt sie. „Die Zusammenarbeit mit Doktorandinnen und Doktoranden ist sehr erfüllend. Dafür reserviere sie zwei halbe Tage pro Woche.“

Eine exzellente Universität braucht vielfältige Talente, auch davon ist Anna Fontcuberta überzeugt. Dafür engagiert die EPFL sich an Schulen, zum Beispiel mit Programmierkursen für Mädchen. Auch für neue Professuren sucht die Hochschule nach ausgezeichneten Frauen. Und das zahle sich inzwischen aus: „Unsere Forscherinnen sind – gemessen etwa an der Zahl von ERC Grants – erfolgreicher als anderswo in der Schweiz.“ Als Fontcuberta 2008 zur EPFL kam, war die Zahl der Professorinnen gerade mal zweistellig. Jetzt sind es 91 von 370. Die Kultur habe sich gewandelt, sagt sie. „Diversität funktioniert, wenn die Führung einer Organisation dafür einsteht. Weibliche Führungskräfte gehen dorthin, wo sie wirklich erwünscht sind.“

Auf die Frage, wie sie ihre Karriere mit dem Familienleben vereinbart, reagiert die Präsidentin erst einmal leicht ungeduldig mit einer Gegenfrage: Warum würden immer nur Frauen das gefragt? Dann antwortet sie, dass sie immer hart gearbeitet habe, daran sei die Familie gewöhnt. Ihr Mann ist auch Professor und arbeitet auch viel. „Wenn ich aber Zeit mit der Familie verbringe, konzentriere ich mich hundertprozentig darauf. Wir machen gemeinsame Unternehmungen, wir versuchen, schöne Sachen zusammen zu erleben.“ Sie läuft regelmäßig, macht Yoga. „Das ist wichtig, auch für meinen Kopf.“

VORBILD FÜR NACHWUCHSFORSCHERINNEN

Ihre Karriere ist mit Sicherheit ein Vorbild für viele Nachwuchsforscherinnen. Sie selbst erinnert sich gerne an ihren Mentor. Das war ihr Betreuer am California Institute of Technology (CalTech), wo sie als Postdoc gearbeitet hat. „Er hat mein Leben verändert, vor allem mein Zugang zur Forschung und auch, wie ich meine Teams manage.“ Er sei einer der besten Forscher, die sie kenne und gleichzeitig sehr zugewandt. „Er hat mir gezeigt, wie man exzellent forschen und trotzdem menschlich bleiben kann.“

Wenn sie jetzt an das CalTech und andere US-Spitzenunis denkt, ist Anna Fontcuberta besorgt: „Wissenschaft ist hochinternational. Wir machen Fortschritte, weil wir uns über Grenzen hinweg austauschen.“ Schon zu Zeiten von Newton und Leibniz hätten sich Forschende Briefe geschrieben und gegenseitig besucht, um Inspiration zu finden. Dass in den USA Forschungsmittel so radikal gekürzt würden, verursache Schäden nicht nur für die Wissenschaft in den USA. „Die gesamte Welt wird darunter leiden.“ Sie rechnet damit, dass die EPFL in den kommenden Jahren mehr Fachleute aus den USA einstellen wird. „Das ist gut für uns, aber nicht für die Forschung insgesamt.“ 

Am Ende unseres Gesprächs kommen wir auf Künstliche Intelligenz zu sprechen. „Die Revolution durch KI, die wir gerade erleben, wird sich verlangsamen. Und dann werden wir klarer sehen, was sich verändert, auch in unserer Forschungsarbeit.“ Zum Beispiel habe man sich vor zehn Jahren nicht vorstellen können, dass eine KI – so wie heute üblich – die Eigenschaften von neuen Materialien vorhersagen würde. Irgendwann werde KI ein ganz normales Werkzeug sein, so wie der Computer. Der Unterschied sei aber, dass alles sehr schnell gehe. „Deswegen müssen wir unsere Wissenschaftler und Ingenieurinnen anders ausbilden.“ Sowohl in der Methodik als auch in ethischen Fragen. „Wir wollen verantwortungsvolle Führungskräfte in die Welt entlassen.“

TUM Alumna Anna Fontcuberta i Morral

TUM Alumna Anna Fontcuberta i Morral (Bild: Nicolas Righetti / EPFL).