TUM-Präsident Thomas F. Hofmann lädt ein
„Ingenieure sind Zukunftsgestalter“
Das KontakTUM-Tischgespräch
Eine ultraschnelle Transportkapsel, in die keiner einsteigen will. Ein Kraftwerk, dessen Strom niemand kauft. Ein Pflegeroboter, dem keiner vertraut. Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure können heute die aufregendsten Innovationen entwickeln, doch wenn sie keiner will, sind sie so gut wie nutzlos. Deshalb ist es wichtig, bei der Entstehung jeder neuen Technologie mitzudenken, ob und wie diese gesellschaftlich akzeptabel umgesetzt werden kann.
Für das Tischgespräch über Ingenieure für die Zukunft hat TUM-Präsident Thomas F. Hofmann vier Alumni eingeladen, die sich mit dem Thema im Alltag intensiv auseinandersetzen – ob als weltweit anerkannter Robotikforscher, als Unternehmerin, als Präsident des Vereins Deutscher Ingenieure oder als Doktorandin im Hyperloop-Forschungsprogramm. Sie erzählen, wie sie persönlich als Ingenieure gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, auf welche Weise kreatives Denken gefördert werden kann und warum Vielfalt hierbei eine tragende Rolle spielt.
Guten Tag Herr Präsident, schön, dass Sie da sind. Wo kommen Sie gerade her?
Prof. Dr. Thomas F. Hofmann
Aus einem anderen Zoom-Meeting (lacht). Momentan reiht sich Online-Meeting an Online-Meeting. Das digitale Tagesprogramm ist intensiv und anstrengend. Mir fehlt der persönliche Austausch von Angesicht zu Angesicht. So war es schön, kürzlich meinen Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten mal wieder live zu begegnen. Dabei ist uns aufgefallen, dass wir uns schon seit Wochen nur noch digital ausgetauscht haben.
Bei Ihrer Antrittsrede im Oktober 2019 haben Sie betont, wie wichtig Ihnen der direkte Dialog mit allen Universitätsmitgliedern ist.
Thomas F. Hofmann
Ja, den vermisse ich nun sehr. Aber ich versuche viel digital abzufangen – beispielsweise mit dem TUM Presidential Student Lunch auf virtueller Basis. Das ist ein Format, bei dem ich mich mit unseren Studierenden mittags verabrede, um mich mit ihnen über ihre individuellen Zukunftsvisionen und ihre Erwartungen an „ihre TUM“ auszutauschen. Oder ein Format wie dieses hier, bei dem ich mich mit unseren Alumni treffe. Das gibt mir Inspiration, neue Kraft und Motivation und ist mehr persönlich sehr wichtig.
Wieso?
Thomas F. Hofmann
Die Menschen sind die Erfolgsmacher unserer Universität. Das gilt für die Führung der Universität genauso wie für Forschung, Lehre und Innovation an der TUM. Und das haben wir jetzt auch in unserem Leitbild festgeschrieben. Im Sinne unserer Mission Responsible Research and Innovation richten wir unsere Forschungs-und Innovationsprozesse an den Werten, Bedürfnissen und Erwartungen der Gesellschaft aus. Wir entwickeln Innovationen nicht um der Technologie willen, sondern zum Wohle des Menschen und dessen Umwelt. Human-Centered Engineering heißt deshalb unser Leitmotiv.
Was bedeutet das konkret für die Ausbildung der Ingenieurinnen und Ingenieure?
Thomas F. Hofmann
Auf dem Weg zu findigen Ingenieurinnen und Ingenieuren brauchen unsere Studierenden natürlich auch künftig noch tiefgreifende Fachkompetenzen, aber sie werden zunehmend ihre Expertise mit denen anderer Disziplinen verbinden müssen. Deshalb gestalten wir unsere Lehre so um, dass die Studierenden die interdisziplinäre Verknüpfungsfähigkeit ihres Faches mit anderen Disziplinen erproben können und spannende Chancen an den Schnittstellen beispielsweise zur Informatik und der Medizin nutzen können.
Professor Dr. Sami Haddadin kommt dazu. Der Alumnus gehört zu den weltweit führenden Robotikexperten und ist Direktor der Munich School of Robotics and Machine Intelligence an der TUM sowie Inhaber des Lehrstuhls für Robotik und Systemintelligenz.
Thomas F. Hofmann
Guten Tag, Professor Haddadin. Wir sprachen gerade über Forschung an der Schnittstelle von Disziplinen. Sie entwickeln doch gerade einen Roboterassistenten für Senioren, der zum Beispiel auch Ultraschallaufnahmen machen kann.
Sami Haddadin
Ja, er heißt GARMI, hat zwei Arme und kann ältere Menschen bei ihren alltäglichen Handgriffen unterstützen. Er lernt mit seinen künstlichen Sinnen beispielsweise ihnen dabei zu helfen aufzustehen, Essen zu machen oder den Tisch abzuräumen. Zudem können sich Ärzte mit ihm verbinden, per Video-Telefonie zuschalten, aus der Ferne Diagnosen erstellen und mittels Teletouch sogar feinfühlige Rehabilitationsinterventionen durchführen.
Sie arbeiten bei der Entwicklung eng mit den zukünftigen Nutzerinnen und Nutzern zusammen. Wie sieht das genau aus?
Sami Haddadin
Ganz einfach. Wir lassen sie mit dem Roboter interagieren. Am Anfang kommen die Seniorinnen und Senioren oftmals mit einer eher ablehnenden Haltung zu uns, aber wenn sie dann eine Weile mit dem Roboterassistenten interagiert haben, dann rattert es, und sie geben uns sehr gute Rückmeldungen. Sie sagen uns, was sie gut finden, was sie nicht so gut finden und an welches ihrer Probleme wir Entwickler vielleicht noch überhaupt nicht gedacht haben. Dadurch wissen wir genau, was unser nächster Schritt sein muss. Wir haben dabei viel mehr gewonnen, als wir am Anfang erwartet haben.
Wie schulen Sie Ihr Forschungsteam, so dass es mit diesem vielfältigen Input umgehen kann?
Sami Haddadin
Am Anfang unserer Innovationen steht eine gemeinsame Vision, die wir als erstes entwickeln. Wir versuchen mit visuell greifbaren Storyboards, die wir mit Stakeholdern entwickeln, beispielhaft zu zeigen, welchen Nutzen eine Entwicklung am Ende hat. Wenn es an die konkrete Umsetzung des Projektes geht, brauchen wir dann zunächst einmal knallhart technischen Input und Fortschritt. Wir benötigen also Roboterentwickler, Elektrotechniker, Informatiker, KI-Experten und Programmierer. Danach kommen die nichttechnischen Spezifikationen: Die Vision wird früh und immer wieder mit den künftigen Nutzern abgeglichen. In der Geriatronik arbeiten wir dazu auch oft mit Design-Prototypen oder auch eher unkonventionellen Methoden, wie das Probieren und Erproben der Mensch-Roboter-Interaktion in Szenarien mit Menschen und Menschen in Roboterkartons.
„Wir Ingenieure bestimmen mit, wie die Zukunft aussieht, dafür brauchen wir eine breit gefächerte Ausbildung.“
Prof. Dr. Sami Haddadin
Sami Haddadin
Vielleicht müssen wir zunächst einen Schritt zurücktreten und uns ansehen, was überhaupt ein Ingenieur ist. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen von ingenium, was schöpferische Begabung oder die Fähigkeit zur sinnreichen Erfindung meint. In meinem Verständnis sind Ingenieure Zukunftsgestalter. Und ich zähle Informatiker dazu, also alle Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, Technologie zu entwickeln. Es ist ja nicht so, dass jemand mit einer Vorstellung kommt, wie die Zukunft auszusehen hat, und wir Ingenieure setzen das einfach um. Im Gegenteil, wir sind diejenigen, die diese Zukunft mitbestimmen, und damit wir das im positivsten aller Sinne und zum Nutzen der Menschen tun können, brauchen wir eine breitgefächerte Ausbildung, die technische Inhalte genauso wie beispielsweise philosophisch-ethische Inhalte einschließt.
Ein philosophierender Ingenieur?
Thomas F. Hofmann
Warum nicht? Wenn wir in Deutschland unsere Zukunft als Innovationsstandort sichern wollen, dann reicht es nicht, immer und immer wieder die ausgetretenen Trampelpfade der letzten Jahrzehnte zu beschreiten. Ingenieurinnen und Ingenieure brauchen künftig neben ihrer Fachexpertise auch gesellschaftspolitisches Gespür, um ihre Innovationen an den Werten, Bedürfnissen und Erwartungen der Gesellschaft ausrichten zu können.
Wie soll das konkret an der TUM aussehen?
Thomas F. Hofmann
Ein Beispiel: Wir werden einige der zahlreichen Vorlesungsformate durch Teamprojekte ersetzen, in denen Studierende verschiedener Disziplinen gemeinsam an technologischen Herausforderungen arbeiten. Sie bleiben aber nicht nur innerhalb der eigenen Community der Ingenieure und Naturwissenschaftler, sondern integrieren weitreichend andere Disziplinen, inklusive der Geistes- und Sozialwissenschaften. Denn ethische Implikationen lassen sich besser am lebendigen Forschungsgegenstand in interdisziplinären Teams begreifen, als in theoretischen Vorlesungen.
Sofía Ramirez nimmt von Costa Rica aus am Online-Gespräch teil. Sie ist auf Familienbesuch in ihrem Heimatland. Die Doktorandin forscht am Hyperloop-Projekt der TUM: Bei diesem Transportsystem soll sich ein Hochgeschwindigkeitszug mit annähernd Schallgeschwindigkeit in einer Röhre mit Teilvakuum fortbewegen. Sofía Ramirez ist leitend für die Entwicklung der Fahrerkabine zuständig.
Frau Ramirez, der Präsident hat gerade berichtet, wie wichtig Teamprojekte in der Ausbildung von Ingenieurinnen und Ingenieuren sind. Wie haben Sie die Zusammenarbeit im Hyperloop-Team erlebt?
Sofía Ramirez
Unser Team ist die Grundlage unseres Erfolgs. Viermal hintereinander haben wir den weltweit schnellsten Pod gebaut und konnten den Sieg im internationalen Wettbewerb in Kalifornien einfahren. Vor dem Projekt hätte ich nicht gedacht, was alles möglich ist – auch innerhalb eines begrenzten Zeitraumes -, wenn alle an einem Strang ziehen. Wir lieben das Projekt und geben alles dafür. Nicht zuletzt macht es auch noch Spaß. Mittlerweile ist aus dem einstmals studentischen Projekt ein richtiges Forschungsprogramm geworden, das aus Mitteln der Hightech Agenda Bayern gefördert wird.
Das Projektteam ist sehr interdisziplinär aufgestellt.
Sofía Ramirez
Unsere 85 Mitglieder stammen aus 29 verschiedenen Ländern und vielen verschiedenen Fakultäten. Wir haben Informatiker, Physiker, Elektrotechniker, Maschinenbauer, Betriebswirtschaftler und wir brauchen all diese Expertise, um unseren Pod zu bauen. Wir brauchen Hardware, Software, Elektronik, Maschinenbau. Dazu kommen die Leute, die uns für das Business unterstützen. Mit allen Events, mit dem Sponsoring und so weiter.
„Machbarkeit, Gesundheitsverträglichkeit und Nachhaltigkeit sind zentrale Aspekte in unserem Projekt.“
Sofía Ramírez Bernini
Catharina van Delden
Ich kann nur unterschreiben, wie wichtig ein interdisziplinär aufgestelltes Team für eine Unternehmung sein kann. Meine drei Mitgründer und ich, wir kommen alle aus unterschiedlichen Fakultäten, wenn auch alle aus der TUM. Wir haben vier sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, andere Sichtweisen, konträre Herangehensweisen. Das war oft eine Herausforderung, aber heute würde ich sagen, dass diese Interdisziplinarität den Grundstein für unseren Erfolg gelegt hat.
Inwiefern?
Catharina van Delden
Für jede Art von Innovation und unkonventionellem Denken ist es zentral, dass wir bereit sind, über den Tellerrand zu schauen, dass wir offen sind, Neues zulassen und neugierig bleiben. Erst dann können wir wahrhaft visionär sein. Ich selbst habe die besten Ideen im Austausch mit anderen Menschen. Ich lerne unglaublich gerne neue Menschen kennen, beschäftige mich mit anderen Sichtweisen und fremden Lebensmodellen und entwickle so eigene neue Ideen. Genauso hilft unsere Software Unternehmen dabei, über ihre Grenzen hinaus zu schauen und Menschen in ihrem Umfeld zu finden, mit denen sie bisher keine Geschäftsbeziehung bei der Entwicklung ihrer Produkte und Dienstleistungen hatten.
Sie helfen Firmen dabei, die Meinungen der Nutzerinnen und Nutzer schon frühzeitig in die Produktentwicklung einzubeziehen. Warum ist das wichtig?
Catharina van Delden
Ein Produkt muss technisch einwandfrei sein, aber vor allen Dingen sollte es auf den Nutzer zugeschnitten sein. Wenn es nicht passt, wird nicht gekauft. So funktioniert der Markt. Deshalb braucht man bei der Entwicklung von neuen Produkten einen ganzheitlichen Ansatz, der eben nicht ausschließlich nur die technischen Komponenten berücksichtigt. Man sollte sich die Frage stellen: Wofür tue ich das, was ich da tue? Für wen entwickle ich dieses Produkt?
„Erst wenn wir über den Tellerrand schauen, können wir wahrhaft visionär sein.“
Catharina van Delden
Wir versuchen etwas Ähnliches auch in der Forschung umzusetzen. In Zukunft braucht es Formate im Sinne eines erweiterten Co-Creation-Prozesses. Es geht also darum, die Expertisen von Menschen außerhalb unserer Universität – auch unserer Alumni – direkt im Designprozess neuer Technologien zu integrieren, um diese zum Beispiel intuitiver und einfacher nutzbar zu machen. Das ist eine herausragende Chance, Öffentlichkeit an Innovationsprozessen teilhaben zu lassen. Außerdem haben wir an der TUM bereits zahlreiche Dialogformate, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Forschung mit der Gesellschaft in den Diskurs zu bringen. Das sind Veranstaltungen, die beispielsweise am TUM Institute for Advanced Study oder am Munich Center for Technology in Society stattfinden.
Unser fünfter Gast ist Dr. Volker Kefer. Der TUM Alumnus ist promovierter Maschinenbauer und seit 2019 Präsident des Vereins Deutscher Ingenieure. Zuvor war er mehrere Jahre Mitglied im Vorstand der Deutschen Bahn.
Guten Tag, Herr Dr. Kefer. Wir haben gerade mit Frau van Delden darüber gesprochen, dass ein Produkt eigentlich erst dann gut ist, wenn es das Bedürfnis eines Menschen löst. Was bedeutet das Ihrer Ansicht nach für die Kompetenzen eines Ingenieurs?
Volker Kefer
Ich halte die technisch inhaltliche Ausbildung eines Ingenieurs oder einer Ingenieurin für zentral und extrem wichtig. Er muss einfach wissen, was er tut. Darüber hinaus kommen aber für mich ein paar zusätzliche Anforderungen an Ingenieure hinzu, die in der jüngeren Vergangenheit deutlich mehr an Bedeutung gewonnen haben. Ich spreche da von einer ganzen Reihe an Fähigkeiten, die notwendig sind, um bestimmte Jobs auszufüllen. Wo man zum Beispiel Leute überzeugen, in größerem Umfang Kommunikation betreiben oder an einer Entscheidungsfindung teilhaben muss.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Volker Kefer
Ich glaube, dass in die Führungsgremien von großen oder bedeutsamen Firmen Ingenieure gehören, also technisch gebildete Leute. Die können aber diesen Job nur dann vernünftig machen, wenn sie etwas davon verstehen, wie man große Firmen führt. Das heißt Führung, die damit verbundene Kommunikation und die Entwicklung ausgewogener Entscheidungen im Team spielen genauso eine Rolle wie persönliche Integrität, Belastbarkeit, der Umgang mit Stress und so weiter.
Und außerhalb der Führungsebene?
Volker Kefer
Wenn Sie heute in gesellschaftlichen, öffentlich-rechtlichen oder politischen Gremien mitspielen wollen, dann brauchen Sie deutlich mehr als Kenntnisse über die Technik, weil Sie sonst nicht gehört werden. Da fällt mir immer der Spruch ein: „Nicht alles, was technisch möglich ist, ist anzustreben beziehungsweise gesellschaftlich gewollt.“ Es gibt einige Projekte, bei denen man erkennen musste, dass gesellschaftliche und politische Akzeptanz durchaus harte Einflussfaktoren sind. Ein Beispiel ist die Kernkraft. Hier hat die Ablehnung durch die Gesellschaft und das Engagement von Ingenieurinnen und Ingenieuren dazu geführt, dass es mittlerweile viele alternative Ansätze zur Energiegewinnung gibt. Die Zeit wird zeigen, ob diese sich durchsetzen können. Es reicht auf jeden Fall nicht aus, an diese Herausforderungen allein von technischer Seite heranzutreten, sondern man muss gerade bei solchen Entscheidungen das Interesse aller mit im Blick haben. Und man muss dann auch über entsprechende Projekte informieren können.
„Nicht alles was, technisch möglich ist, ist auch gesellschaftlich gewollt.“
Dr. Volker Kefer
Volker Kefer
Das war vielleicht etwas überspitzt formuliert (lacht). Aber diese Behauptung beruht auf eigenen Erfahrungen. Ein Beispiel: Zu meinen Aufgaben als Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bahn gehörte es, mit und für die Öffentlichkeit zu kommunizieren. Nun ist es so, dass während Bauprojekten bei der Deutschen Bahn gerne von so genannten „Überwerfungsbauwerken“ gesprochen wird. Ein kompliziertes und unverständliches Wort, das im Grunde nicht mehr als eine Brücke bezeichnet. Warum sagen wir nicht einfach Brücke? Wenn man sich mit einem gewissen inhaltlichen Tiefgang mit Themen beschäftigt, tendiert man dazu, sich ein Stück von der ganz normalen Realität abzukoppeln und in einem Kauderwelsch zu reden, der für die meisten Menschen nicht mehr verständlich ist.
Kann man lernen, sich klarer auszudrücken?
Volker Kefer
Kommunikation ist etwas, das man üben muss und das sollte Teil der universitären Ausbildung sein. Wenn jemand einen komplizierten Sachverhalt für eine breitere Öffentlichkeit nachvollziehbar darstellen will, muss er in der Lage sein, massiv zu vereinfachen. Leider ist nichts anspruchsvoller, als einen schwierigen Sachverhalt in drei Sätzen zu erklären. Wir Ingenieure tendieren dazu, immer irgendwelche Einschränkungen zu machen. Wenn wir gefragt werden „Ist das richtig?“, dann sagen wir „Ja, vorausgesetzt, dieses und jenes trifft zu oder diese und jene Randbedingung ist vorhanden“. Diese Relativierung wirkt auf die meisten Leute entweder unverständlich oder sogar dubios. Es entsteht der Eindruck, so ganz sicher sei sich der Ingenieur auch nicht. Wenn jemand wirklich gut ist, dann traut er sich am Ende Ja oder Nein zu sagen, wohlwissend, dass es einschränkende Randbedingungen gibt. Das ist das ganze Geheimnis.
Sami Haddadin
Das stimmt. Während meiner Studienzeit am Center for Digital Technology and Management hatten wir Seminare zum Thema Präsentieren. Wir haben von unserem Kursleiter ein fachfremdes Thema bekommen und sollten ad hoc dazu einen kleinen Vortrag machen. Ich hatte ein Offshoring-Thema bekommen und als Technologe natürlich keine Ahnung. Ich habe mir sehr gut überlegt, was ich sagen will, aber fand ehrlich gesagt, dass ich oberflächlich war und viel Halbwissen eine Rolle gespielt hat. Nach der Präsentation meinte der Kursleiter dann aber zu meinem großen Unverständnis zu mir: „Lieber Sami, wenn du sprichst, meint jeder, er sei ein Idiot.“ Das fand ich wirklich unglaublich, weil ich mich selbst ja als komplett unwissend erlebte. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass ich an meiner Kommunikationsweise offensichtlich arbeiten muss. Mittlerweile muss und darf ich sehr viel kommunizieren, aber es ist noch immer nicht ganz einfach für mich. Ich versuche mir oft vorab von meinen Kindern und meiner Frau Rückmeldung darüber zu holen, ob verständlich ist, was ich sage.
Frau Ramirez, haben Sie auch schon solche Herausforderungen erlebt, wenn Sie das Hyperloop-Projekt in der Öffentlichkeit vorgestellt haben?
Sofía Ramirez
Es ist eine ganz neue Technologie und es gibt tatsächlich auch einige Ängste. Viele Leute denken, die Geschwindigkeit dürfte für den Menschen nicht ertragbar sein. Es gibt diese Anekdote, dass früher vor Reisen mit dem Zug gewarnt wurde, weil man glaubte, durch die raschen Bewegungen würde bei den Passagieren eine geistige Unruhe hervorgerufen. Dabei betrug die Geschwindigkeit damals im Bestfall 60 Stundenkilometer. Der TUM-Hyperloop ist über 460 Stundenkilometer schnell (lacht). Wir müssen tatsächlich damit umgehen, dass wir als Ingenieurinnen und Ingenieure selbst noch nicht alles über die Auswirkungen der Technologie wissen. Deshalb gehört es für uns ganz selbstverständlich dazu, dass wir uns schon während der Entwicklung mit Aspekten der Machbarkeit, Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und natürlich auch Gesundheitsverträglichkeit beschäftigen. Wenn wir das deutlich machen, können wir die meisten Menschen abholen.
Warum war ausgerechnet das TUM Hyperloop-Projekt so erfolgreich. Es haben ja viele Teams aus der ganzen Welt an den Wettbewerben teilgenommen.
Sofía Ramirez
Wir haben sehr stark profitiert von dem Wissen, das an der TUM vorhanden war und wurden enorm unterstützt von Professorinnen, Professoren und Industriepartnern. Aber ich glaube, dass auch die Freiheit in der Entwicklung besonders ausschlaggebend war. Wir hatten niemanden, der uns gesagt hat, was wir zu tun haben. Wir konnten immer selber entscheiden. Vieles wussten wir nicht, vieles war uns neu, aber wir hatten immer diesen Freiraum, alles selbst zu probieren. Das war ziemlich schön und hat uns Selbstverstrauen in die eigenen Fähigkeiten gegeben.
Sollte es an der Universität noch mehr solchen Freiraum für Studierende geben?
Sofía Ramirez
Wenn man die TUM vergleicht, zum Beispiel mit anderen Universitäten in den USA, dann stehen wir schon ziemlich gut da. Die Universitäten in den USA sind sehr teuer und die Studierenden können es sich nicht leisten, ein Semester frei zu nehmen und sich voll und ganz einem studentischen Projekt zu widmen, so wie wir das gemacht haben. Was aber noch besser wäre: Wenn das Projekt als Studienleistung anerkannt würde. Dann muss sich auch niemand extra ein Urlaubssemester nehmen. Trotzdem hat es sich gelohnt. Ich empfehle jedem, diese Erfahrung zu machen.
Sami Haddadin
Die Anerkennung solcher Projekte als Studienleistung würde ich unterstützen. Wir werden jetzt einen neuen internationalen Masterstudiengang rund um das Thema Robotik und Künstliche Intelligenz aufbauen, der auch zu großen Teilen projektbasiert ist. Lassen sie es mich am Beispiel des Cybathlon veranschaulichen, das ist ein Wettkampf für Prothesenträger, die unterstützt von modernsten technischen Assistenzsystemen beim Lösen von alltagsrelevanten Aufgaben gegeneinander antreten. Es sind Projektteams aufgerufen, hier eigene völlig neue Prothesen zu entwickeln und die Wettkampfteilnehmer damit auszustatten. Das ist relativ aufwendig und kostet auch viel Geld. Wir haben uns jetzt dazu entschlossen, das zu übernehmen, damit unsere Studierenden die Möglichkeit haben, hier mitzumachen. Und wir haben es an der TUM ermöglicht, dass das Projekt offiziell als Studienleistung anerkannt wird.
Sofía Ramirez
Das ist ja cool.
Sami Haddadin
Ja, nicht wahr? (lacht).
Catharina van Delden
Ich muss sagen, dass ich die TUM in dieser Beziehung immer als sehr fortschrittlich erlebt habe – gerade auch, was die Entwicklung unserer Unternehmensidee und die Unterstützung bei der Gründung betraf. Wir haben viel praktische Hilfe bei der Gründung unseres Unternehmens erhalten, aber das Wichtigste für mich war, dass wir den Freiraum hatten, unsere Ideen zu entwickeln und dabei immer wieder positiv bestärkt wurden. Ich habe nicht mit einer Gründungsabsicht das Studieren begonnen, aber an der TUM wurde mir das Gründen als realistischer Weg aufgezeigt.
Thomas F. Hofmann
Das ist ein zentraler Aspekt der ganzen Thematik, die wir heute besprochen haben. Wir müssen unsere jungen Talente ermutigen, eigene Wege zu gehen und ihre individuellen Visionen umzusetzen. Als Universität können und sollten wir ihnen dabei unter die Arme greifen. Das können wir tun, indem wir freies Denken über die Fächergrenzen hinweg fördern und die Studierenden nicht nur auswendig lernen lassen, was in den klassischen Lehrbüchern steht. Wir müssen aufzeigen, wo es spannende Schnittstellen zwischen den Disziplinen gibt. Und wir müssen ihnen die Angst vor dem Scheitern nehmen und sie beispielsweise auch zu einer eigenen Gründung ermutigen, wenn ihr Weg sie dorthin führt. Diese Art von Förderung der Kreativität, von Neudenken, von Entrepreneurial Spirit halte ich für ein Grundelement künftiger Innovationsfähigkeit.
Wir bedanken uns herzlich für das interessante Gespräch.
Das Online-Meeting ist zu Ende. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verabschieden sich nach und nach aus der Runde. Die spannende Diskussion und die vielfältigen Meinungen regen im Nachgang zum weiteren Nachdenken an. Einig waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer darin, wie wichtig ihnen persönlich die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwortung ist und dass Technologie nicht nur um ihrer selbst willen entwickelt werden sollte. Die TUM geht bei diesem Thema vorausschauend voran. Viele neue Projekte werden in den nächsten Monaten und Wochen starten. Sie möchte die Grenzen keine Grenzen mehr sein lassen – zwischen den Disziplinen genauso wie zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.