„Wir wollen eines der größten Umweltprobleme lösen“
Seit 1950 haben Menschen rund 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoff produziert, der nun den Planeten verschmutzt. Mit Organismen, die Plastik fressen, bietet die Natur eine Lösung für das Problem. TUM Alumna Eleonore Eisath will mit ihrer Hilfe eine Recycling-Revolution starten.
Wurm gegen Plastik
Für ihr ehrgeiziges Vorhaben macht sich Eleonore Eisath die erst jüngst entdeckten Fähigkeiten von Kleinstlebewesen zunutze. Über neunzig verschiedene Organismen und Mikroorganismen sind der Wissenschaft mittlerweile bekannt, die Plastik auf dem Speiseplan haben. Wenn die Larve der Wachsmotte Kunststoffe wie Polyethylen (PE) frisst, werden deren Bestandteile durch die Bakterien und Enzyme im Verdauungstrakt des Wurmes dergestalt aufgespalten, dass sie im Nachgang als Rohstoff für neue Produkte verwendet werden könnten.
Der bemerkenswerte Vorgang wird als biotischer oder auch biokatalytischer Recycling-Prozess bezeichnet. Mit ihm würde sich eine bis vor Kurzem als unüberwindbar geltende Lücke im Materialkreislauf schließen: Verbrauchskunststoffe würden zur erneuerbaren Rohstoffquelle. „Im Gegensatz zu anderen Recyclingsystemen wie dem mechanischen oder chemischen Recycling verbraucht das biotische Recycling nicht viele Ressourcen“, erklärt Eleonore Eisath. „Die Wachsmottenlarven arbeiten nur mit dem Essen, das sie essen, und benötigen keine zusätzliche Energie- oder Wärmequelle.“
Innovation ohne Grenzen
2017 kam die gebürtige Südtirolerin nach München an die TUM, um ihren Bachelor in Industrial Design mit einem Master zu erweitern. Schon bei der Recherche für ihr erstes Uniprojekt stieß Eleonore Eisath zufällig auf das spannende Thema der biotischen Zersetzung. „Die Tatsache, dass sich die Natur evolutionär so anpassen kann, dass selbst menschengemachte Materialien zur Nahrungsquelle werden können, hat mich unglaublich fasziniert“, sagt sie. „Seitdem hat mich das Thema nicht mehr losgelassen.“ Die TUM begleitete und unterstützte die Pionierin auf allen Ebenen von der ersten Idee bis zur Wachstumsphase.
Mit einem interdisziplinären Team aus Studierenden entwickelte Eleonore Eisath im Rahmen des TUM-Kurses Think.Make.Start. ihre erste Idee zum einem biotischen Recyclingsystem in nur zehn Tagen zum spruchreifen Produkt. Der zweiwöchige fakultätsübergreifende Kurs Think.Make.Start. wird vom Lehrstuhl für Produktentwicklung und Leichtbau veranstaltet, um gezielt Innovationen und Spin-offs zu fördern. „Nach diesem Kurs stand für mich fest, dass ich über das Thema auch meine Masterarbeit schreiben will“, sagt Eleonore Eisath. „Dass ich in meiner Abschlussarbeit einen derart neuen und explorativen Weg jenseits der Grenzen des Industriedesigns gehen konnte, hat mich in meiner Entscheidung, an der TUM zu studieren, nur bestätigt.“
Inkubator TUM
2019 schloss Eleonore Eisath ihren Master ab und begann noch im gleichen Jahr damit ihr Projekt eigenverantwortlich weiter voranzutreiben. Da das Thema sehr forschungslastig ist, hatte die junge Absolventin eine Gründung eigentlich nicht angedacht. Auch wollte sie sich nicht von den Entscheidungen Dritter, von dringend benötigten Geldgebern etwa, abhängig machen. „Als ich merkte, wie viele Leute an das Projekt glauben, gab mir das die nötige Motivation, den Weg der Eigenregie einzuschlagen“, erklärt sie. „Wir generieren Wissen, um eines der größten Umweltprobleme zu lösen. Jede Erkenntnis, die wir auf dem Weg gewinnen, ist eine Errungenschaft, auch unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg.“
2019 gewann Eleonore Eisath mit ihrem Start-up den Ideenwettbewerb des Bionik-Team der TUM, das an der Munich School of BioEngineering (MSB) angesiedelt ist. Mit dem Preisgeld hatte sie gewissermaßen gleich die erste Finanzierung eingeholt. Seit 2020 forscht sie mit ihrem jungen Team aus TUM Alumni und Studierenden am TUM Entrepreneurship Center und in der Bio.Kitchen, dem frei zugänglichen biowissenschaftlichen Labor der TUM.
Aktuell beschäftigt sich das Team intensiv damit, herauszufinden, welche Bakterien und Enzyme für den Abbauprozess des Kunststoffs Polyethylen am effizientesten sind. Möglichst rasch soll das gesamte Verfahren skaliert werden, um dann als biotisches Recyclingsystem im großen Rahmen einen wirklichen Unterschied im Kampf gegen die Kunststoffverschmutzung zu machen. „Ich finde allgemein, unsere Generation sollte ihr Potential in die Entwicklung nachhaltiger Lösungsansätze stecken“, sagt Eleonore Eisath. „Wir alle sollten unser Tun auf die Sinnhaftigkeit in einem größeren Kontext prüfen.“